Interview

Paul Haslinger im Gespräch

Am 12. Oktober 1996 fand im holländischen Nijmegen der alljährliche KLEMtag statt. Eines der Konzerte bestritt dabei Paul Haslinger .

Paul Haslinger wurde 1962 in Linz geboren. An der Wiener Musikakademie absolvierte er eine klassische Ausbildung und arbeitete zunächst als Studiomusiker. Mitte der Achtziger Jahre wurde er Mitglied bei Tangerine Dream, der weltweit wohl bekanntesten Elektronikband. Unter anderem war Paul Haslinger beteiligt an den TD-Alben Underwater Sunlight, Canyon Dreams, Melrose sowie an einer ganzen Reihe von Filmmusiken. Nach sechs Jahren verließ er die Gruppe. Heute lebt und arbeitet er in Los Angeles. Gelegentlich spielt er mit der französischen Band Lightwave zusammen, ansonsten konzentriert er sich seitdem auf seine Solokarriere. Bisher erschienen zwei CDs: "Future Primitive" (1994) und "World Without Rules" (1996) sowie, unter dem Projektnamen "Coma Virus" die CD "Hidden" (1996).

Ernst Mäfers und Torsten Zimmer haben kurz vor seinem ersten Solokonzert auf dem KLEM-Tag mit Paul Haslinger gesprochen. Das Interview wurde in der Radio-Waves-Sendung vom 9. Dezember 1996 ausgestrahlt.

Radio Waves: Paul, dein erstes Solo-Album "Future Primitive" klingt völlig anders als die Musik, die du zuvor bei Tangerine Dream geacht hast. War die Platte so etwas wie eine bewußte Distanzierung von der Tangerine-Dream-Zeit?

Paul Haslinger: Na ja, ich liebe ich es, Erwartungen zu enttäuschen. Die für mich spürbare Erwartungshaltung, daß jetzt etwa ein Klavieralbum kommen würde, hatte schon dazu beigetragen, das dann gerade nicht zu machen. Es war aber auch keine Protestaktionen, um allen zu zeigen, das ich ganz anders bin. Ich bin eigentlich nur meinem Interesse gefolgt und dem, was mir Spaß gemacht hat. Dazu kam, daß ich nach der TD-Zeit sehr vielen neuen Einflüssen ausgesetzt war und mir sehr viele neue Technologien angeeignet hatte, und ich mich dann gefragt hatte: OK, what's the bottom line? Was ist jetzt der gemeinsame Nenner unter diesen neuen Einflüssen und Experimenten? Und als erstes Stück ist dabei "Future Primitive" herausgekommen.

Wenn man das jetzt vergleicht mit der neuen CD, "World Without Rules", kann man erkennen, daß diese ursprüngliche Vision zwar beibehalten wird, sie aber trotzdem wesentlich tiefergehender ist, weil ich auch Zeit gehabt habe, das reifen zu lassen. "Future Primitive" war trotz der einjährigen Produktionszeit ein relativ schnell herausgeschossenes Album. Das neue Album mit eineinhalbjähriger Produktionszeit ist eine Verfeinerung und Vertiefung dieses Stils. Man braucht also immer eine gewisse Zeit, um solche Sachen wirklich entwickeln zu können, zumindest brauche ich das.

Radio Waves: Und woher kamen diese neue Impulse? Noch aus der TD-Zeit oder schon aus der Zeit in Los Angeles?

Paul Haslinger: Tangerine Dream war schon die Grundlage für vieles in meinem Leben. Es hat mir die Türen aufgestoßen für die internationale Musikszene, und ich habe viele Leute kennengelernt. Allerdings: Die wirklich neuen Einflüssen stammen alle aus der Zeit, als ich schon in Los Angeles gelebt habe. Da habe ich dann mit Leuten gearbeitet, die viel in der Musikszene zu tun hatten, die hauptsächlich bei Plattenfirmen gearbeitet hatten. Die haben mir dann Sachen vorgespielt. Man sitzt also einfach mit Freunden zusammen und einer sagt "Hey, I've heard something great. Listen to that!" Und du hörst dir das an und sagst "Wow, das ist wirklich toll." Und so entwickelt sich das dann eben.

So hat sich das auch mit "Future Primitive" ergeben. Darauf ist noch ein starker Dance-Einfluß zu hören. Das hat sich jetzt wieder ein bißchen abgeschwächt, weil inzwischen auch die Zugangsmöglichkeiten zu ethnischen Musiken in Los Angeles phantastisch sind. Du hast eine Universität, die eine der größten ethnomusikologischen Abteilungen hat, du hast Plattengeschäfte, die bis unter den Rand mit ethnologischen Recordings gefüllt sind. Und das hat mich stark beeinflußt, daß ich diese ganzen fantastischen Sachen gehört habe. Das ist für mich jetzt zum Vokabular geworden. Wenn ich jetzt einen Obertongesang von Tuba höre, dann frage ich mich sofort, wie kann ich das in meiner Musik einsetzen? Und so ist das da drüben also eine riesige Entdeckungsreise geworden.

Radio Waves: Hast du noch Kontakt zu deinen ehemaligen Kollegen von Tangerine Dream, z.B. zu Chris Franke?

Paul Haslinger: Der Christoph wohnt ja nur eine halbe Stunde von mir entfernt, in einem anderen Teil von Los Angeles. Wir sind des öfteren in Kontakt. Unter anderem unterstützen wir uns gegenseitig technisch, weil wir uns ja immer wieder mit unseren Geräten herumplagen oder neue Geräte ausprobieren. Und auch deshalb, weil ja heute die Soundentwicklung die Basis für unsere ganze Arbeit darstellt. Wenn wir keine guten Ausgangssoundssounds haben und nicht auf interessanten Wegen mit unseren Sounds arbeiten, dann macht unsere Musik ja überhaupt keine Sinn. In diese Sinne hat der Christoph immer schon sehr viel getan, er hat ja sehr viele Sounds bei TD entwickelt. Wir sind also bis heute in gutem Kontakt und unterhalten uns über vieles, was sich da so abspielt. Mit Edgar und Peter ein bißchen weniger, aber wir sind auch noch in gutem Kontakt. Es ist also eine sehr freundschaftliches Verhältnis zu allen.

Radio Waves: Ihr habt euch damals also in gegenseitigem Einvernehmen getrennt? Es war kein Streit oder so?

Paul Haslinger: Überhaupt nicht. Ich habe auch immer wieder betont, daß das eine sehr freundschaftliche Trennung war, in gegenseitigem Einvernehmen. Wenn zwei Leute sich auf einem Weg befinden, und der eine sagt: Ich will jetzt nach A, und der andere sagt, ich würde lieber nach B gehen, dann muß man halt andere Wege gehen. Das heißt aber noch lange nicht, daß man sich deswegen befeinden oder bekriegen muß.

Radio Waves: Wie bewertest du die Musik aus der Tangerine-Dream-Zeit heute im Rückblick? Gibt es Alben, die auch heute noch gerne hörst oder auch solche, die du heute nicht mehr so sehr magst?

Paul Haslinger: Ja, es gibt immer noch Alben, die ich gerne höre, und von denen werde ich heute abend wahrscheinlich auch ein bißchen was spielen. Aber es auch sehr viele Sachen, die ich nicht mehr gerne höre.

Radio Waves: Wie war denn eigentlich die Zusammenarbeit in dem Trio und die Aufgabenverteilung?

Paul Haslinger: Christoph und Edgar hatten ja schon in gewisser Weise eine gute Aufteilung. Und ich bin eigentlich als Johannes-Schmölling-Ersatz dazu gekommen, wobei Johannes auch eine bestimmte Aufgabe in der Gruppe hatte, die ich dann sozusagen erfüllt und erweitert habe. Aber ich glaube, jetzt darüber zu sprechen, wer genau was gemacht hat, gehört nicht in die Öffentlichkeit. Das war nun mal unsere Art zusammenzuarbeiten, und das Resultat gibt's als Platte, käuflich für zwanzig Mark im Laden... also, das ist einfach gruppenintern. Aber jeder hat seine Rolle gehabt, und das verändert sich auch ein bißchen. So wie ja auch jetzt Edgar und Jerome ein Paar sind, das sich ergänzt.

Radio Waves: Während deiner Zeit bei Tangerine Dream hast du ja viel Filmmusik gemacht. Bist du auch jetzt noch in diesem Bereich tätig?

Paul Haslinger: Ab und zu mache ich kleinere Gelegenheitsarbeiten, aber es ist für mich noch kein Hauptbetätigungsfeld geworden. Das ist in Los Angeles eine sehr große Szene. Dadurch gibt es viele Vorteile, daß die Arbeit gefragt ist, aber andererseits auch viele Nachteile, daß es sehr viel Konkurrenz gibt und daß die Mehrzahl der angebotenen Produkte auch nicht besonders gut ist. Es gibt hunderttausend Fernsehserien oder kleinere Spielfilme, die eigentlich nicht sonderlich reizvoll sind. Trotzdem ist es eine der ständigen Überlebensquellen in Los Angeles. Wenn man als Musiker wirklich die in Los Angeles sehr viel höheren Lebenskosten in Kauf nehmen will, dann muß man sich damit notgedrungen in irgendeiner Weise auseinandersetzen.

Radio Waves: Du hast jetzt soeben deine neue CD "Wold Without Rules" veröffentlicht, und zwar bei einer neuen Plattenfirma. War es schwer, in Los Angeles Fuß zu fassen?

Paul Haslinger: Na ja, ich kann mich nicht beklagen. Mir wurde am Anfang der Weg durch Peter Baumann geebnet, der mich sehr unterstützt hat. Ich habe immer Mittel und Wege gefunden, mich sehr gut über Wasser zu halten, womit ich schon zum kleineren Prozentsatz der Leute gehöre, die in Los Angeles leben. Die meisten laufen nur dauernd irgendwelchen Zielen nach.

Aber was schon schwierig war, war dieser Neubeginn einer Veröffentlichungsserie, sich als Solo-Artist erst einmal bekannt zu machen und aus der New-Age-Szene ausbrechen zu können. Und auch jemanden zu finden, der überhaupt kapiert, was man eigentlich will. Leute, die sagten, ach ja, Ex-Tangerine-Dream, da können wir schon was machen, gab es viele. Aber Leute, die wirklich kapierten, was man jetzt neues machen will, gab es sehr wenige.

Der Besitzer der neuen Plattenfirma RGB Records, Stephen Hill, ist jemand, den ich schon jahrelang kenne. Mit dem habe ich schon bis 2, 3 Uhr morgens über die verschiedensten Dinge diskutiert. Das ist jemand, bei dem ich das Gefühl habe, der ist verrückt genug, der hat die gleichen Spinnereien im Kopf. Und auf dieser Basis hat man sich immer wieder getroffen. Und bisher bestätigt die Erfahrung mit der Plattenfirma, daß die einen wesentlich besseren Job macht als die letzte. Und das ist schon sehr ermutigend. Die Platte hat in Amerika eine hervorragende Resonanz und auch gute Verkäufe und viel Radioplay, was für mich sehr erstaunlich ist, weil in Amerika die Formatanforderungen ja wesentlich strenger sind als hier. Das heißt, eine Station spielt nur Blues, eine Station spielt nur Jazz, eine andere nur die Top Forty. Und trotzdem ist das Album auf viele Stationen gelangt und ist wider Erwarten überraschend gut gelaufen.

Radio Waves: Aber in der Top Forty seid ihr noch nicht, oder?

Paul Haslinger: Top Forty sind wir noch nicht, nein. Hoffentlich werden wir das auch nie, denn das ist der Anfang vom Ende...

Radio Waves: Kannst Du bei der Resonanz auf dein Album einen Unterschied feststellen zwischen den USA und Europa?

Paul Haslinger: Oh ja. Das ist ganz wichtig. Als ich nach Amerika gegangen bin, habe ich immer gesagt, Amerika ist ein interessantes Land, aber man hört ja immer den Vorwurf der Oberflächlichkeit der Amerikaner. Irgendwas ist da auch dran, weil die Masse der Amerikaner wirklich relativ uninteressiert ist, um das einmal höflich auszudrücken. Aber dann gibt es eben auch die Spezialisierten. Und die Spezialisierten in Amerika sind viel stärker spezialisiert, als das in Europa jemals der Fall wäre. Das allgemeine Bildungsniveau ist niedrig, aber wenn du zu Spezialisten kommst, wissen die in ihren Gebieten viel mehr als jeder Spezialist mit einer großen allgemeinem Allgemeinbildung hier in Europa. Das war mein Bild.

Wenn ich heute nach Europa komme, kommt es mir fast vor, als ob es hier eine Parallele in der Musikszene gibt. Es gibt hier kleinere Musikszenen, die viel spezialisierter sind als das in Amerika der Fall ist. Die kennen alles und sind hervorragende Informationsquellen. Aber das Gros der Musikszene hier ist eher erschreckend. Hier hört man zum Beispiel immer noch Tina Turner oder Michael Jackson. Das interessiert in Amerika überhaupt niemanden mehr, weil das dort im Radio rauf und runter gespielt wurde. Auf dieser Ebene ist die Musikszene also erschreckend. England ist sehr originell, aber das geht nicht über den englischen Bereich hinaus. Was Deutschland betrifft, sehe ich genau diese Dichotomie. Einerseits Leute, die ganz spezialisiert sind und ganz tolle Produktionen machen, aber die kauft ja niemand. Die können nicht davon leben und werden im Radio auch nicht gespielt. Statt dessen werden irgendwelche second- oder third-rate-artists gespielt, die in England oder Amerika längst keiner mehr hören will. Das ist schon komisch, denn eigentlich ist Deutschland ein phantastischer Musikmarkt, so wie auch Frankreich. Viele Leute sind sehr interessiert und kaufen auch viel Musik, und es ist schade, daß da nicht mehr Information durchdringt, die Leute werden von den Medien halt leider falsch informiert.

Radio Waves: Und wie kannst die diese Erkenntnisse auf deine eigene Solokarriere anwenden? Auch im Hinblick auf deine Verkäufe und den Absatz?

Paul Haslinger: Na ja, die Verkäufe hängen sehr stark von deiner Plattenfirma ab. Die erste Platte hatte zwar ein großes Medienecho, war aber von den Verkäufen her eher enttäuschend. Die zweite Platte läuft jetzt sehr gut. Wenn du eine gute Plattenfirma und einen guten Vertrieb hast, sind auch die Verkäufe gleich besser. Und die neue Firma hat sehr dazu beigetragen, daß ich mich da jetzt wesentlich besser fühle. Das ist eben genau der Unterschied, ob du motivierte oder unmotivierte Leute in deinem Team hat. Die Platte wird drüben als Pionierleistung, als Eye-Opener gepriesen, was sie für mich eigentlich nicht ist, weil ich mich mit diesen Sachen Tag für Tag beschäftige. Aber vielleicht gibt es jetzt eine gewisse Aufbruchstimmung, die entstanden ist, weil in der kommerziellen Szene zu viel zu oft repetiert worden ist. Im Popbereich, so etwas wie Oasis, das ist im Prinzip nur ein Wiederaufwaschen von längst bekannten Mustern. Das geben die ja auch selber zu. Und das machen alle. Aber man kann die Leute nicht zu lange für dumm verkaufen. Irgendwann sagt jeder mal, also jetzt möchte ich aber mal was neues hören.

Radio Waves: Was sind deine Zukunftspläne?

Paul Haslinger: Na, die nächste Platte kommt bestimmt...

Radio Waves: Und stilistisch? Hast du da schon irgendwelche Ambitionen? Vielleicht auch im Bereich Multimedia oder Video?

Paul Haslinger: Wenn es eine Möglichkeit gibt, diese Live-Plattform zu erweitern und vielleicht tatsächlich mal mit Leuten auf die Bühne zu gehen, und so, wie ich das immer schon wollte, mit Tänzern und Multimedia auf der Bühne zu arbeiten, dann werde ich das sicher verfolgen. Ich habe jetzt schon mit meinen Mitmusikern einen relativ hohen Standard vorgelegt, und will auf den Platten versuchen, das mit hochkarätigen Leuten auch in Zukunft beizubehalten und vielleicht auch ein paar Leute zu entdecken und zu produzieren.

Mein Grundsatz bei den beiden Soloprojekten war immer, Spaß dabei zu haben. If it isn't fun, I'm not doing it. Und das soll auch als Grundformel beibehalten werden.

Der Unterschied von "Future Primitive" zu "World Without Rules" war eigentlich weniger der, daß ich gewußt habe, was ich machen will, sondern, daß ich gewußt habe, was ich nicht machen will. Und ich habe nach "Future Primitive" über bestimmte Sachen gesagt, das mache ich nicht mehr, das schließe ich jetzt aus dem Prozeß aus.

Als Beispiel: Bestimmte Harmoniefolgen oder bestimmte Takt-Pronouncements. Und ich weiß jetzt schon wieder, nach der Veröffentlichung von "World Without Rules", was ich davon nicht mehr machen möchte. Der Fokus von dem, was ich eigentlich machen möchte, wird also immer schmaler, und ich hoffe, daß die Aussage, die ich mache, immer klarer, immer direkter, immer ehrlicher und immer weniger von irgendwelchen Außenfaktoren beeinflußt wird.

Und das andere ist: Ich kann das Label gar nicht genug loben, denn wenn du dich auf eine Plattenfirma verlassen kannst, dann spielt die Plattenfirma auch keine so große Rolle mehr. Du mußt dir dann darüber keine Gedanken mehr machen. Und es ist beim Musikmachen ja immer förderlich, wenn man sich über den ganzen Business-Apparat keine Gedanken mehr machen muß. Das ist ja das übliche philosophische Paradox: Je mehr man weiß, desto weniger muß man wissen. Ich weiß viel über das Musikbusiness, und deshalb muß ich mir darüber nicht mehr so viele Sorgen machen.

Radio Waves: Gehört denn Klavier- oder New-Age-Musik, wie sie zum Beispiel Chris Franke auf "Pacific Coast Highway" präsentiert hat, auch zu den Dingen, die du für die Zukunft ausgeschlossen hast?

Paul Haslinger: Ich spiele nach wie vor gerne Klavier, und ich werde auch heute abend etwas zum besten geben. In den Projekten, die ich von dem Solo-Projekt jetzt ausklammere, so wie z. B. Coma Virus, das eine ganz andere, abstrakte und experimentelle Ebene ist, kann ich mir auch vorstellen, ein auf Klavier basierendes Album zu machen.

Ich glaube aber nicht, daß das besonders new-agig würde oder yannihaft verkäuflich. Ich habe so einen leichten Hang zum melancholisch-sentimental-europäischen in mir, und wenn das was würde, würde das eher in diese Richtung gehen. Das ist aber noch Jahre davon entfernt, realisiert zu werden.

Radio Waves: Was ist eigentlich das gemeinsame Thema deiner Alben? Titel wie "Future Primitive" oder "World Without Rules" weisen ja auf ein gemeinsames Konzept hin.

Paul Haslinger: Ich glaube, wir sind am Ende der westlichen Zivilisation angelangt, das weiß jeder. Es gibt einen Aushöhlungsprozeß. Der Oswald Spengler hat das ganz gut beschrieben im "Untergang des Abendlands", indem er die Kulturen den Organismen vergleicht. Er sagt, jeder Organismus hat eben eine Jugend, eine Blütezeit, eine Vollreifezeit und eine Verfallszeit. Und am Schluß dieser Kulturentwicklung, die er da beschreibt, ist dann das kristalline Stadium erreicht, in dem zwar der Körper noch existiert, aber innen leer wird und dann auch zerfällt.

Und ich glaube, so eine ähnliche Szene haben wir heute. In diesen Zeiten ist es kulturell eigentlich sehr interessant, zu leben, denn es existiert nichts mehr, aber auch noch nichts. Und deswegen laufen wir in den Trümmern der westlichen Zivilisation umher und produzieren eigentlich nichts wirklich neues, sondern wir nehmen nur verschiedene Trümmerstücke und bauen damit kleine, abstrakte Skulpturen. Und irgendwann entsteht aus diesen komischen Trümmern eine neue Entwicklung. Wo sich die entwickelt, wann sich die entwickelt, ob sich die überhaupt noch mal lokal irgendwo auf der Erde entwickelt, oder ob das durch die Globalisierung der Medien auf einer völlig anderen Ebene passiert, zum Beispiel im Internet, das wissen wir noch nicht, aber das ist ja das Faszinierende daran. Und die Titel meiner Alben - um jetzt die lange Antwort zu beenden und den Bogen zu schließen - weisen auf dieses Weltbild hin, das ich in der Zwischenzeit entwickelt habe.

Radio Waves: Du siehst also einerseits das Ende der heutigen Welt, andererseits aber auch die Chancen, die sich dadurch bieten?

Paul Haslinger: Natürlich, das ist aber immer so. Wenn etwas stirbt, wird etwas geboren.

Radio Waves: Das erinnert an das Weltbild der Chinesen, die ja für Chance und Krise dasselbe Schriftzeichen verwenden.

Paul Haslinger: Ja, die Chinesen haben vor viertausend Jahren schon die wesentlichen Grundzüge der Philosophie verstanden.

Radio Waves: Meiner Meinung nach vor allem im Taoismus.

Paul Haslinger: Na ja, wenn man sich überhaupt mit Schriftsystemen und Glaubenssystemen auseinandersetzt, dann würde ich auch den Taoismus noch als wesentlich bestes Source-Material bezeichnen.

Radio Waves: Paul, vielen Dank für das Gespräch.








© 1997 Torsten Zimmer