Interview

Jonn Serrie im Gespräch

Am 7.10.1995 gab der Amerikaner Jonn Serrie ein Konzert auf dem KLEMdag in Nijmegen. Bei dieser Gelegenheit sprach Radio Waves mit dem Musiker aus Atlanta.

Radio Waves: Was bedeutet für dich "Space Music"?

Jonn Serrie: Space Music beschreibt für mich den "sense of wonder", den ich empfinde, wenn ich die Sterne sehe. Das ist dasselbe Gefühl, das man auch hat, wenn man verliebt ist., diese aufregende Empfindung, daß alles möglich ist. Wenn man also die Sterne sieht oder auch in ein Planetarium geht, öffnet man sich für dieses Gefühl des Staunens, das so alt ist wie die Menschheit. Diese Erfahrung kann man nicht in Worte fassen, aber ich glaube, daß die Sprache der Musik diesem Gefühl noch am nächsten kommt. Wenn ich Space Music mache, möchte ich eine warme, einladende Atmosphäre herstellen, nicht einfach nur eine Mauer aus Klängen. Wie gesagt, sie kommt vom Herzen.

Radio Waves: Kennst du die Musik deiner Kollegen, wie z. B. Steve Roach?

Jonn Serrie: Ja, ihn mag ich besonders, denn er macht dasselbe wie ich. Er glättet die Ecken und Kanten, seine Musik klingt sehr abgerundet, sehr weich., aber gleichzeitig erforscht er unbewußten, geheimnisvolle Bereiche. Seine Musik verkörpert seine Persönlichkeit. Ich mag auch, was Constance Demby und Michael Stearns machen. Oder Larry Fast (Synergy) das ist auch ein exzellenter Musiker. Oder Tangerine Dream. Aber es gibt noch viele andere. In den Siebzigern habe ich oft Amon Düül und Hawkwind gehört.

Radio Waves: Gibt es auch neuere Musik, die dich beeinflußt hat?

Jonn Serrie: Mich inspirieren viele völlig verschiedene Quellen, und einige davon würden Euch wirklich überraschen. Als ich jung war, habe ich Kirchenorgel gespielt und Klavierstunden gehabt. Rachmaninoff, Beethoven, all die Klassiker, vor allem Mozart und Bach. Und in den Anfangstagen der Elektronischen Musik gab es Stockhausen oder John Cage und viele andere. Die haben damals Bänder manipuliert und mich sehr beeinflußt. Als ich auf dem College war, dachte ich: Mein Gott, wenn man so etwas schon mit Bändern machen kann, was kann man dann erst tun, wenn man die Elektronik unter Kontrolle bringt! Dann kam Carlos mit "Switched on Bach" und brachte die Klassik zur Elektronik. Das war für mich der Anfang, damals dachte ich, jetzt haben wir wirklich unendliche Möglichkeiten für die Klangerzeugung.

Wenn ich Musikern zuhöre, achte ich vor allem auf eines: Haben sie das "Tier" unter Kontrolle? Wissen sie, wie man die Klänge programmieren kann? Können sie ihre Persönlichkeit mit dem Synthesizer ausdrücken? Gute Musiker lassen den Synthesizer niemals über ihr Schicksal bestimmen. Gute Musiker kontrollieren ihr Schicksal selbst und lassen zuerst ihr Herz sprechen. Um das zu erreichen, müssen sie lernen, zu programmieren, sie müssen die Bedienungsanleitungen lesen, sie müssen herausfinden, was man man mit den Geräten machen kann. Und das sind wirklich verflixt komplizierte Dinger, das kann ich dir sagen.

Radio Waves: Ich glaube, das ist der generelle Unterschied. Einige Musiker werden von den Klängen inspiriert, die das Gerät hergibt, während andere zuerst einen Klang im Sinn haben, und das Instrument gut beherrschen müssen, um diesen Klang dann erzeugen zu können.

Jonn Serrie: Genau. Am Anfang muß immer eine Vision stehen. Für "Midsummer Century" und "Ixlandia" hatte ich eine Vision. Die Cover dieser beiden Alben waren dabei sehr wichtig. Als ich diese Bilder sah, dachte ich: Also, da ist eine Stadt, und da ist ein Mädchen. Was geht hier vor? Welche Verbindung besteht dazwischen? Ist das Mädchen vielleicht ein Geist? Ist sie ein Wächter dieser Stadt? Und warum liegt die Stadt auf der Seite? Was ist da passiert? Und dann dachte ich: Vielleicht war dies eine sehr schöne Stadt, in der viele romantische Dinge geschahen. Ein schwebendes Paradies auf einem Planeten irgendwo in der Galaxis. Und das Mädchen war vielleicht eine Art spiritueller Wächter. Aber dann ist etwas geschehen, vielleicht eine Invasion - und so ergibt sich langsam eine Geschichte. Ich dachte zuerst: Wie wäre es, genau an diesem Ort zu stehen. Und dann habe ich dieses Haus gesehen. Was ist das? Eine Penthaus Suite? Und dann fiel mir ein. Vielleicht ist das ja ein kleines Tanzlokal. Vielleicht sind dort Menschen, die tanzen und die Sterne betrachten. Und darüber habe ich dann ein Stück geschreiben. Aber vielleicht ist einer dieser Menschen einsam, und auch darüber kann man ein Stück schreiben. Es ist, als ob man einen Roman schreibt.

Radio Waves: Klaus Schulze hat eines seiner Alben ja "Picture Music" genannt.

Jonn Serrie: Genau das ist es. Es ist, als ob man ein Bild malt, aber nur teilweise, damit noch Platz für die Phantasie der Zuhörer bleibt.

Radio Waves: Zurück zu den Wurzeln. Wie bist du dazu gekommen, Musik für Planetarien zu schreiben?

Jonn Serrie: Ich habe 1974/75 in Connecticut für die Firma Electronic Music Laboratories Synthesizer vorgeführt, und ein Freund meinte, meine Musik würde sehr gut in einem Planetarium wirken. Ich war zuletzt in einem Planetarium gewesen, als ich fünf war, also sagte ich, O.K., sehen wir uns das mal an. Und dort stellte ich fest, daß das technologische Niveau der Planetarien genau zu dem der elektronischen Musikinstrumente paßte. Ich war begeistert. Das war ein großartiger Ort, um "spacige" Ideen auszudrücken.

Ich habe dann zunächst Shows für Planetarien konzipiert, in denen man einen Sprecher hörte. Aber beim Mixen der Show fiel mir auf, daß die Musik ihre eigene Geschichte erzählte, wenn ich die Stimme wegließ. Wir sind auf einem heißen Planeten - man hört Zischen und Knistern. Jetzt fliegen wir ins Zentrum der Galaxis - die Musik sorgt für den Übergang. Ich dachte, das ist ja hervorragend. Man läßt den Erzähler einfach weg und schon hat man eine großartige musikalische Geschichte. So entstand "And The Stars Go With You". Die Musik auf diesem Album entwickelt sich von Thema zu Thema, von Stimmung zu Stimmung.

Radio Waves: Hatte die Explosion des Space Shuttles "Challenger" 1986 nicht auch etwas damit zu tun?

Jonn Serrie: Ja. Im Jahr davor hatte die NASA verschiedene Planetarien angesprochen und gesagt, wir brauchen Programme und Shows, die sich mit dem Projekt "Lehrer im All" beschäftigen, denn die Lehrerin Christa McAuliffe sollte ja mit dem Shuttle ins All fliegen. Als es soweit war, wurden alle großen Planetarien in den USA zusammengeschaltet, um die Direktübertragung der NASA zu empfangen. Christa McAuliffe sollte die Schüler aus dem Weltraum unterrichten, über Schwerelosigkeit, über das Universum usw. Da saßen sie also überall in den Planetarien, Kinder aus dem Kindergarten, aus der High School und vom College. Sie schauten auf die Bildschirme, und es war wie ein großes, gemeinsames Klassenzimmer - und dann explodierte das Ding. Und überall in den Planetarien sah man live, wie es geschah. Ihr könnt Euch vorstellen, wie wir uns fühlten.

Ich hatte eine Menge Musik dafür komponiert, wir waren alle bereit, und dann das. Wir waren ziemlich fertig. And The Stars Go With You" kam 1987 heraus. Ein Teil der Musik in den fünf Titeln stammt aus den Shows, die wir für die Planetarien vorbereitet hatten. Mit diesem Album habe ich auch versucht, die Sache zu verarbeiten. Vielleicht ist das ein Grund, warum es so beliebt ist. Man spürt irgendwie die Fragen, die dahinter stehen. Was ist mit diesen Menschen passiert? Wohin sind sie gegangen? Sie haben ihr Leben vor den Augen der Welt geopfert. Das ist ja nicht wie diese O.J.-Sache. Was diese Menschen getan hatten, bedeutete wirklich sehr viel.

Radio Waves: Was bedeutet der Titel? Ist das ein Zitat?

Jonn Serrie: Es ist das, was ich Christa McAuliffe gerne gesagt hätte. Leider sind wir uns nie begegnet. Ich habe den Ersatzpiloten des Shuttles mal getroffen, und auch Francis R. ("Dick") Scobee, den Kommandanten der Challenger. Ich war auch bei der Grundsteinlegung für das Christa McAuliffe Memorial Planetarium in ihrer Heimatstadt Concord, New Hampshire. Ihre Eltern waren dort, und ich habe ihnen die CD gegeben. Das war ein sehr intensiver Augenblick in meinem Leben. Das waren schließlich die Eltern von Christa McAuliffe! Ich hoffte natürlich daß die Musik ihnen gefallen würde. Ich ging also zu ihrer Mutter und sagte,"Mrs. Corrigan, kann ich sie kurz sprechen." Als sie sich umdrehte, konnte ich in ihren Augen deutlich sehen, daß ihre Tochter immer noch da war - auch zwei Jahre danach. Das war ein sehr bewegender Augenblick. Deshalb hat "And The Stars Go With You" eine besondere Stimmung. Ich würde auch niemals versuchen, das zu wiederholen. Danach wollte ich andere Dinge tun.

Radio Waves: Du hast vorhin mal den Begriff "spirituell" erwähnt. Hat deine Musik irgendeine spirituelle Botschaft oder überhaupt eine Botschaft?

Jonn Serrie: Ich glaube, das hat mit dem zu tun, wovon wir am Anfang schon sprachen. Mit dem "sense of wonder", dem Gefühl des Staunens, dem Wissen, daß alles möglich ist, mit dem, was man empfindet, wenn man den klaren Himmel betrachtet. Genau dasselbe Gefühl hat man, wenn man verliebt ist. Wenn es also eine Botschaft gibt, lautet sie: Da draußen ist die Unendlichkeit, und hier im Herzen, ist die Ewigkeit. Und beides gehört zusammen.

Radio Waves: Ist das eine religiöse Empfindung?

Jonn Serrie: Ich würde sagen, ja. Es ist eine religiöse, spirituelle Empfindung. Erinnerst du dich noch, wie du "Close Encounters" (dt. "Unheimliche Begegnung der Dritten Art") zum ersten Mal gesehen hast? Wenn das Mutterschiff ankommt und alle nur noch staunen? Genau das Gefühl meine ich. Du stehst an den Mauern des Schicksals, du wartest auf das Mutterschiff. Wenn ich mit meiner Musik auch nur annähernd dieses Gefühl hervorrufen kann, habe ich mein Ziel erreicht.

Radio Waves: Hattest du diese Einstellung zum Weltall schon immer oder war die Arbeit in den Planetarien der Auslöser?

Jonn Serrie: Ich habe das schon immer so empfunden. Mein Vater war beim Militär, und in meiner Familie gibt es viele Piloten. Ich fliege selbst auch. Es gab einige AWACS-Piloten bei der kanadischen Luftwaffe´und ein Onkel arbeitete bei der Satelliten-Flugbahn-Kontrolle.

Radio Waves: Ist die Militärfliegerei nicht eher unromantisch?

Jonn Serrie: Ja, das ist irgendwie witzig. Einerseits gibt es da diese Macho-Attitüde...

Radio Waves: ..."Top Gun"...

Jonn Serrie: Ja, aber gleichzeitig gibt es auch die sanfte Seite. Ich glaube, die habe ich von meiner Mutter, die viel mit der Kirche zu tun hatte. Ich war so etwas wie ein Pilot, der die Kirchenorgel spielt. Und irgendwie haben sich bei mir die Spiritualität, das Fliegen und das Weltall vermischt, und das alles findet in meiner Musik seinen Ausdruck.

Radio Waves: Hast du eine astronomische Ausbildung?

Jonn Serrie: Die einzige astronomische Ausbildung, die ich habe, stammt aus den Hunderten von Planetarienshows, für die ich die Soundtracks geschrieben habe. Die Themen waren Kosmologie, das Tachyonen-Universum, wie die Erde sich gebildet hat, Entwicklung der Planeten, Schwarze Löcher, Physik. Ich habe dagesessen und immer wieder mitgehört, was der Sprecher erzählt. Man überquert den Ereignishorizont, dann wird man von der Schwerkraft zerquetscht usw. Ich habe also eine Ausbildung in Kosmologie und Physik quasi nebenbei mitbekommen, indem ich die Shows hörte, an denen ich gerade arbeitete.

Radio Waves: Wie bereitest du ein Konzert in einem Planetarium vor?

Jonn Serrie: Ich kann die technischen Möglichkeiten eines Planetariums inzwischen recht gut einschätzen. Nehmen wir zum Beispiel das Forum in München. Das hat nun wirklich jedes Millionen-Dollar-Spielzeug zu bieten, das man sich vorstellen kann. Und dann gibt es natürlich auch die 12-Meter Planetarien, wo man nur den Sternenprojektor und ein paar Kerzen zur Verfügung hat. Wenn man mir sagt, wir haben das volle Programm, wir haben Laser und Video, dann sage ich, O.K. Dann verschicke ich drei Wochen vorher eine Cassette und sage, hört's euch an, und wir arbeiten etwas aus.

Wenn das Planetarium, für das ich arbeite, nicht so viele visuelle Effekte anbieten kann, ist das auch kein Problem, dann wir machen es eben einfacher. Wir nehmen die Sterne, vielleicht ein paar Blumen, und eben die Effekte, die das Planetarium anbieten kann. Grundsätzlich setzen wir etwa zu 50 % auf optische Effekte und zu 50 % auf mich und meine Musik. Dann kann das Publikum nach oben schauen - Oh, was für ein toller Sternenhimmel! - oder nach vorne - Oh, was für ein toller Typ!

Radio Waves: Willst du in der Zukunft auch die Möglichkeiten von Multimedia nutzen, z. B. Computergraphik?

Jonn Serrie: Ja. In der Planetariumstechnologie arbeitet man zur Zeit daran, die Kuppel wie einen Computerbilderbildschirm zu nutzen. Das nennt sich "Digidome" oder "Virtuarians". Damit kann man alles, was man auf einem Computerbildschirm darstellen kann, auch auf die Kuppel des Planetariums projizieren - in Echtzeit. Das bedeutet wirklich Multimedia: THX-Mehrkanal-Klangsysteme, computeranimierte Kuppelprojektionen, Panoramasysteme, Sitze mit eingebauten Lautsprechern und Nebelmaschinen und Laser, die sich mit Roboterarmen durch das Raum bewegen. Man kann auch die Temperatur im Planetarium regulieren, es kann heißer oder kälter werden.

Wenn ich ein romantisches Konzert gebe, parfümiere ich manchmal den ganzen Raum und stelle Blumen auf. Das gefällt den Besuchern schon, wenn sie hereinkommen. Und dann spiele ich meine romantische Musik. In München habe ich das auch so gemacht, und als ich beim letzten Stück angekomen bin, saßen die Zuhörer entspannt in den Sesseln, und viele umarmten oder küßten sich. Da wurde das ganze dann plötzlich zu einer äußerst sensorischen Erfahrung...

Aber darum geht es mir ja auch. Daß man nicht nur einfach einen Helm aufsetzt und die virtuelle Realität erlebt, während der Körper nur so 'rumhängt. Ich will, daß man mit dem ganzen Körper in einer neuen Umgebung ist, wenn die Kuppel zu leben beginnt und sich der Sitz bewegt. Man sitzt im Planetarium und meint, man sei in einer Art Flugsimulator und fühlt sich fast schwerelos. Sicher, Hollywood hat ausgefeilte Klangsysteme, aber dies hier ist eine viel tiefere Ebene der virtuellen Realität. Mein Ziel dabei ist, der Entwicklung immer einen Schritt voraus zu sein.

Radio Waves: Glaubst du, daß man damit auch wieder eine positivere Einstellung der Menschen zur Raumfahrt und zur Weltraumforschung herstellen kann?

Jonn Serrie: Ich glaube ja. Die meisten Sachen passieren ja in Zyklen von 10 bis 20 Jahren. In den 30ern und 40ern hat man z. B. große Militärflugzeuge gebaut und auf diesem Gebiet große Fortschritte gemacht. Dann begann das Zeitalter der Jets und dann kamen die 60er mit dem großen Wettrennen im Weltall. Dann ist die Sache wieder eine Weile lang gestorben. Erst nach etwa 10 Jahren interessierte man sich dann für den Shuttle. Es gab eine große Lücke zwischen dem Raumfahrtprogramm der 60er und Projekten wie der Raumstation Mir. Ich glaube schon, daß dieses Interesse damit wieder geweckt werden kann. George Lucas hat zum Beispiel die Startours in Disneyworld gebaut. Das ist ein echter militärischer F16-Flugsimulator. Und da läuft dann ein Film ab. Überall sind Kontrollknöpfe, der Sound ist großartig und der Bildschirm riesig. Und das Ding bewegt sich natürlich! Ich glaube, so etwas wird das Interesse am Weltraumprogramm wieder beleben. Wenn man Weltraumsimulationen erschafft, die so echt wirken, wird man sich bestimmt fragen: Wann gehen wir endlich wieder dorthin? Ich halte es aber auch für wichtig, daß die Menschen mit Hilfe der virtuellen Realität ihr Inneres erkunden.

Radio Waves: Eine Frage zu deinen Konzerten. Wieviel von dem, was du spielst, ist live und wieviel kommt vom Band?

Jonn Serrie: Für die Livekonzerte mische ich die Albumtracks neu ab. Und ich nehme einige Leadlines oder Chorpassagen heraus. Auf dem Band bleiben dann z. B. noch die Rhythmustracks mit Drums, Bass, vielleicht ein paar Chords. Wenn ich live spiele, kommen weitere Chords und Leadlines hinzu. Manchmal lasse ich auch die Leadline auf dem Band und spiele nur die Chords. Ich vermische das ganz gerne. Ich verdoppele diesen Part oder überspringe jenen. Zur Zeit spiele ich etwa 50-60 % vom Band und 40-50 % live.

Radio Waves: Du hattest vorhin schon erwähnt, daß dich Klassik ebenso beeinflußt hat wie moderne Elektronikmusiker. Aber einmal habe ich sogar etwas gehört, daß stark nach Blues klang. Woher stammt dieser Einfluß?

Jonn Serrie: Ich lebe in Atlanta, und in dieser Stadt schlägt ja geradezu das Herz des Rhythm & Blues. Luther Vandross, Whitney Houston und Bobby Brown leben dort und Michael Jackson nimmt seine Platten in Atlanta auf. Ich bin also umgeben von dieser Musik, und wenn ich in einen Club gehe, wird dort diese fantastische Saxophonmusik gespielt. Wenn ich einen ganzen Tag lang Space Music komponiert habe, will ich auch einfach mal aus dem Studio 'rauskommen. Dann setze ich mich in einen Bluesclub, trinke etwas, höre dem Saxophonisten zu, sehe die Mädchen tanzen und singen und nehme diese ganze Atmosphäre in mich auf. Und ich denke mir: Wäre es nicht fantastisch, wenn ich meine spacigen Sachen mit dem romantischen schwarzen Sound kombinieren könnte. Ja, und das war das Ergebnis. Ich mag diesen Saxophontitel sehr, ich glaube, das Stück ist sehr gut geworden.

Radio Waves: Kennst du den "Blade Runner" Soundtrack von Vangelis?

Jonn Serrie: Ja. Das geht auch in diese Richtung.

Radio Waves: A propos Soundtracks. Hast du schon mal Filmmusiken oder Musik für Werbefilme komponiert?

Jonn Serrie: Zwischen 1984 und 1988 habe ich in Atlanta fast nur Auftragsarbeiten gemacht. Werbung für Autos und vieles mehr. An jedem Tag etwas anderes. Mal irgendeine kurze Hintergrundmusik, mal einen ganzen Soundtrack. Ich habe auch für die Expo 92 in Sevilla gearbeitet.

Radio Waves: Arbeitest du soviel, weil du es so willst, oder ist das Geschäft so hart, daß du soviel tun mußt, um genügend Geld zu verdienen?

Jonn Serrie: Seit ich mit den Alben begonnen habe, mache ich nicht mehr so viele Autragsarbeiten. Ich muß das jetzt nicht mehr machen. Aber ich stehe eigentlich auch ganz gerne mal unter Druck. Wenn mir jemand sagt, wir brauchen 10 Minuten Musik und zwar innerhalb von sechs Stunden, dann sage ich erstmal, O.K., was zahlt ihr mir dafür? Und natürlich muß ich auch die Zeit dafür haben, aber wenn ich das Gefühl habe, daß es die Sache wert ist, dann mache ich es auch. Ich mag Herausforderungen.

Radio Waves: Wie lange hast du eigentlich schon Musik für Planetarien gemacht, bevor du das erste Album veröffentlicht hast? Das hat doch ziemlich lange gedauert, oder?

Jonn Serrie: Etwa neun Jahre lang.

Radio Waves: Kam Dir denn damals nicht der Gedanke, daß die Besucher vielleicht die Musik mit nach Hause nehmen wollten? Warum hast du damals nicht schon z. B. Cassetten verkauft?

Jonn Serrie: Das habe ich, aber ich war damals noch sehr unsicher, ob die Musik wirklich schon gut genug war. Also sagte ich mir: Warum sollst du jetzt schon Alben machen? Warum soll die Öffentlichkeit deinen ganzen Reifeprozeß mitbekommen? Werde erst einmal richtig gut und veröffentliche dann deine ersten Alben! Und dazu habe ich diese neun Jahre gebraucht. In dieser Zeit habe ich einen eigenen Stil entwickelt. In den Planetarien konnte ich eigene Shows entwickeln und ich hatte ja bereits Zuhörer. Aber ich konnte noch Fehler machen und herausfinden, ob irgendwelche Ideen nicht funktionieren. So war es wenigstens nicht vor dem breiten Publikum. Manche machen das ja anders. Sie veröffentlichen ihr erstes Album und wissen selbst nicht so recht, ob es wirklich schon gut ist oder nicht. Ich wollte dieses Risiko nicht eingehen. Ich wollte schon gut sein, bevor ich mit Veröffentlichungen beginne.

Radio Waves: Im Gegensatz zu manchen Newcomern, die Montags ihren Synthesizer kaufen und spätestens Freitag die erste Platte veröffentlichen wollen...

Jonn Serrie: Ja, man muß doch erst einmal lernen, wie man die Geräte bedient.

Radio Waves: Bei deiner Musik sehe ich eine gewisse Entwicklung. Du hast sehr kosmisch angefangen, mit analogen Soundflächen, und bist später immer rhythmischer geworden. Bei anderen Space-Musikern ist das ähnlich. Woher kommt das?

Jonn Serrie: Ich glaube, manchmal braucht Musik einfach Melodie und Form. Ich führe in dieser Hinsicht ein Doppelleben. Zwischen meinen rhythmnischen Experimenten mit all diesen Blues und Jazz-Einflüssen, wird es auch immer mal wieder ein Album mit Space Music geben. Ich werde niemals ganz in eine Richtung gehen. Nach der "Planetary Chronicles"-Reihe werde ich eine neue Reihen beginnen, die "T Directives" heißt. "T Directive 1", "T Directive 2" usw.

Radio Waves: Was bedeutet das?

Jonn Serrie: 'Tachyon Directive'. So heißt der vorletzte Track auf "Ixlandia", ein sehr spaciges Stück. Ich mag den Titel. Ich dachte mir: "Midsummer Century" und "Ixlandia" gehören ja irgendwie zusammen. Wäre es nicht schon, wenn ich die Geschichte weitererzählen könnte, ohne sie wirklich forzuführen? Und deshalb fange ich mit dieser neuen Serie "T Directives" an. So kann ich die Space Music nebenher weiterlaufen lassen und habe noch Zeit, solche Sachen wie "Midsummer Century" zu machen.

Radio Waves: Warum arbeiten vor allem Space Musiker so gerne alleine?

Jonn Serrie: Einerseits, weil man dann die alleinige Kontrolle hat. Außerdem ist Space Music eine sehr persönliche Vision. Man weiß genau, was man beschreiben will, aber kein anderer kann verstehen, warum man das so und nicht anders macht. Deshalb macht man es allein. Beim "...Stars..."-Album ging mir das auch so. Ich wollte keine anderern Einflüsse in dieser Musik haben, weil es meine persönliche Aussage sein sollte.

Space Music mache ich also alleine. Für rhythmische und romantische Musik engagiere ich aber auch Gastmusiker wie z. B. den Saxophonisten auf "Ixlandia".

Radio Waves: Hat der Titel "Ixlandia" eigentlich eine bestimmte Bedeutung?

Jonn Serrie: Den Titel hatte ich schon seit ein paar Jahren im Sinn. Nachdem ich "Midsummer Century" gemacht hatte, dachte ich, daß da eigentlich noch ein zweites Kapitel folgen könnte. Bei diesem Cover und dieser Musik stellt sich ja unwillkürlich die Frage: Wie geht das alles weiter? Und ich sagte mir, gut, ich kann ja den Titel "Ixlandia" verwenden. Die Stadt und das Mädchen befinden sich also auf einem Planeten namens "Ixlandia". Und die Stadt selbst heißt 'Starport Indra'. Und dieses Mädchen ist die 'Century Princess'. Und sagen wir, es gab eine Schwadron von Wächtern, die die Stadt beschützten. Und diese Wesen hießen 'Blue Lumia'. Und dann gab es eine Verbindung zwischen dem Mädchen und den Wesen. Über das alles könnte man ein Buch schreiben.

Radio Waves: Ja, und man könnte es zusammen mit der CD herausbringen.

Jonn Serrie: Genau das haben wir vor. Die Cover von "Midsummer Century" und "Ixlandia" stammen ja von Michael Whelan. Und wir sind im Gespräch mit Anne McCaffrey.

Radio Waves: Die Autorin der Fantasy-Bücher über die Drachenreiter von Pern...

Jonn Serrie: Ja, sie hätte ich am liebsten für das Projekt. Sobald ich wieder in Amerika bin, werde ich mich mit Michael Whelan und Anne McCaffrey treffen und sagen: Die Musik ist fertig, hier ist der Grundriß der Geschichte, mach 'was draus.

Außerdem soll es ein Parfüm namens "Ixlandia" geben.

Radio Waves: Also etwas für alle Sinne. Man kann die Musik hören, die Bilder und das Buch sehen, den Duft riechen...

Jonn Serrie: Deshalb möchte ich auch noch nicht, daß das Projekt als CD-ROM herauskommt. Weil ich will, daß man das Buch auch in den Wald mitnehmen und dort lesen kann. Mit einem Computer kann man nicht in den Wald gehen. Ein Buch kann man überall lesen und gleichzeitig die Musik hören und vielleicht etwas von dem Parfüm versprühen. Dann ist man wirklich in einer kompletten virtuellen Welt. Vielleicht wird es auch ein Video geben. Ein romantisches Ambient-Video, nennen wir es "Century Seasons", das 45 Minuten Musik von beiden Alben enthält.

Radio Waves: Wie wird deine Musik, vor allem die Space Music, eigentlich von anderen Musikern und von den Journalisten akzeptiert?

Jonn Serrie: Space Music ist heute da, wo der Jazz in den 30ern war. Da gab es eine neue Form von Musik, die absolut seltsam klang. Die Freunde der Klassik mochten sie nicht, die meisten anderen mochten sie auch nicht, aber es gab ein paar Musiker, die immer wieder so etwas machten und sagten, hört euch das doch mal an, das ist Jazz. Und irgendwann meinten die ersten, na ja, das klingt ja eigentlich ganz nett. Aber es dauert lange, bevor eine neue Musikrichtung wirklich akzeptiert wird. Bei der Space Music kann das durchaus noch zehn Jahre dauern.

Radio Waves: Und dann besteht natürlich die Gefahr, daß die Musik ausgebeutet und kommerzialisiert wird. Bei Techno ist das ja so. Und bei der elektronischen Musik versucht die Musikindustrie das ja auch inzwischen, ich denke da nur an Vangelis...

Jonn Serrie: Ja, aber für mich gilt: Man wird mir meine Musik nicht wegnehmen. Sicher, Marketing muß sein. Man muß die Sachen verkaufen, man will ja nicht verhungern. Aber kein Künstler muß seine Seele an den Marketingapparat verkaufen, an diese Leute, die zwischen dem Musiker und seinem Publikum stehen. Wenn es um meine Musik geht, weiß ich jedenfalls, wo meine Seele ist - und die würde ich um keinen Preis opfern.

Wenn ich etwas verrücktes tun wollte, könnte ich ja eine Sängerin anheuern und eine Band gründen, mit einer Maske auf der Bühne stehen und mich Johnny Rocker nennen. Dann würde keiner wissen, wer ich bin. Aber Jonn- Serrie-Musik wird immer unverfälscht und unmaskiert sein.

Radio Waves: Ich will nochmal auf die Frage der Akzeptanz deiner Musik und die Popularität zurückkommen. Glaubst du, daß deine Musik und die deiner Kollegen in den USA allmählich mehr akzeptiert wird?

Jonn Serrie: Ja, und ich glaube, daß Qualität dabei das wichtigste ist. Man sollte nie das Qualitätsbewußtsein verlieren und der Vision, die man hat, nie aus den Augen verlieren. Dann folgt einem auch das Publikum. Aber wenn man einmal damit anfängt, Alben zu veröffentlichen, an die man nicht wirklich glaubt, dann wird das Publikum das merken.

Nehmen wir Yanni. Ich mag seine Musik und das, was er damit aussagt. Er ist ein guter Musiker, er hätte dieses ganze Marketing eigentlich gar nicht nötig, die Talkshows und die Boulevardblätter. Sicher, das ist eine Möglichkeit, viele Platten zu verkaufen. Man wird zum Musiker der Regenbogenpresse: Oh, Yanni geht mit Linda Evans, oh John Tesh geht mit Connie Selleca. Wer ist der nächste? Jonn Serrie? NEIN. Das mache ich nicht. Ich muß Platten verkaufen, klar, aber die Qualität meiner Musik ist für mich entscheidend.

Radio Waves: Obwohl das Marketing ja nichts über die Qualität der Musik aussagt...

Jonn Serrie: Ja, aber manchmal behaupten Werbeleute, das da ist die heißeste Sache seit dem Urknall, und vielleicht stimmt das ja auch.

Aber ich will, daß man über mich etwas anderes sagt. Man soll bei jedem neuen Album spüren, daß mir meine Musik sehr viel bedeutet und daß ich immer wieder Wert auf Qualität lege.

Deshalb kann man bei einem Jonn-Serrie-Album auch sicher sein, daß man ein Qualitätsprodukt kauft, in das ich wirklich alle Energie gesteckt habe und das nicht irgendwelche wilden Klangexperimente enthält, die in drei Tagen zusammengestrickt wurden.

Radio Waves: Eine Frage zur Technologie. Mit welchen Instrumenten hast du angefangen?

Jonn Serrie: Natürlich mit dem Piano. Und mit der Kirchenorgel.

Radio Waves: Und das erste elektronische Instrument?

Jonn Serrie: Das war ein EML 101. Das Gerät wurde von Electronic Music Laboratories in Connecticut gebaut. Das war ein wirklich unverwüstliches Ding, das dem Minimoog ähnelt. Man konnte immer nur jeweils eine Note spielen. Dann habe ich mir eine kleines Bandgerät und einen analogen Sequencer gekauft. Und ich dachte, so, jetzt habe ich alles zusammen, mehr brauche ich nicht. Aber das sagen wir ja immer. Dies ist das letzte Stück Equipment, das ich kaufe. Und das ist es nie.

Radio Waves: Benutzt die deine alten Instrumente immer noch.

Jonn Serrie: Und ob! Den EML habe ich auf allen Alben verwendet. Das ist das Geheimnis der elektronischen Musik. Man darf nie einen Synthesizer verkaufen.

Radio Waves: Wie sieht nimmst du denn auf? Viele alte Geräte sind ja nicht MIDI-fähig..

Jonn Serrie: Die Geräte, die nicht MIDI-fähig sind, nehme ich analog auf. Ich lege auch Wert darauf, daß einige Sachen immer noch vom guten alten analogen Band kommen. Bass, akustische Instrumente, Stimmen und analoge Strings kommen bei mir immer von analogen Bändern, denn analoge Aufnahmen besitzen eine Wärme und eine Tiefe, die eine digitale Audio-Workstation einfach nicht bringt.

Radio Waves: Mit welchem Instrument hast du diese hohen, FM-ähnlichen Klänge in "Tingri" erzeugt?

Jonn Serrie: Mit dem DX7.

Radio Waves: Den hast du auch selbst programmiert?

Jonn Serrie: Ja.

Radio Waves: Welche anderen neueren Geräte bevorzugst du?

Jonn Serrie: Ich liebe den JD 800 und die Wavestation. Und außerdem beschäftige ich mich immer noch mit der Bedienungsanleitung meines DX7. Auch da hole ich immer noch neue Klänge heraus. Oder aus dem EML. Für jedes neue Album programmiere ich erst einmal ein- bis zweihundert neue Klänge.

Radio Waves: Neue Klänge sind also für dich sehr wichtig.

Jonn Serrie: Natürlich. Wer keine eigenen Klänge programmiert, der macht auch keine eigene Musik.
 
 

DISCOGRAPHIE (Auswahl)

CD / MC:

"And The Stars Go With You" (1987)
Miramar 09006-23003-2 CD
Miramar 09006-23003-4 MC

"Flightpath" (1989)
Miramar 09006-23004-2 CD
Miramar 09006-23004-4 MC

"Tingri" (1990)
Miramar 09006-23007-2 CD
Miramar 09006-23007-4 MC

"Planetary Chronicles Vol. 1" (1992)
Miramar 09006-23011-2 CD
Miramar 09006-23011-4 MC

"Midsummer Century" (1993)
Miramar 09006-23035-2 CD
Miramar 09006-23035-4 MC

"Planetary Chronicles Vol. 2" (1994)
Miramar 09006-23043-2 CD
Miramar 09006-23043-4 MC

"Ixlandia" (1995)
Miramar 09006-23067-2 CD
Miramar 09006-23067-4 MC

"Upon a Midnight Clear" (1997)
Miramar 09006-23093-2 CD
Miramar 09006-23093-4 MC

Spirit Keepers" (1998)
Miramar 09006-23107-2 CD

Miramar 09006-23107-4 MC



© 1997 Jörg Zimmer